Barrierefreiheit/Was ist das eigentlich?

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Unter Barrierefreiheit im Webdesign versteht man, dass Webseiten allen zugänglich sind und diese ohne Einschränkungen benutzt werden können.

Dabei muss zuerst geklärt werden, welche Arten der Behinderung, oder besser: Einschränkung es denn überhaupt gibt.

Begriffsklärung

Barrierefrei durch eine Rampe aus Legosteinen
Barrierefrei durch eine Rampe aus Legosteinen - bei einem Altbau gut gelöst - einen Neubau hätte man gleich ohne Stufe realisiert

Ursprünglich war im Deutschen der Begriff „behindertengerecht“ verbreitet, ehe er von barrierefrei ersetzt wurde. So wurden neben Treppen rollstuhlgerechte Rampen für Rollstuhlfahrer angelegt. Allerdings sind solche Rampen oft zu steil, sodass man teilweise auch von „barrierearm“ spricht.

Da solche Rampen (oder der konsequente Verzicht auf Stufen und Barrieren) aber nicht nur von Rollstuhlfahrern, sondern auch für Eltern mit Kinderwägen, Touristen mit Rollkoffern und anderen benutzt werden, ist Barrierefreiheit für alle nützlich. So erweitert dieses Verständnis der Barrierefreiheit den Begriff daher zum „Design für Alle“ oder zum Inclusive Design.[1]

Barrierefreies Webdesign sind dementsprechend Web-Angebote, die von allen Nutzern unabhängig von ihren Einschränkungen oder technischen Möglichkeiten uneingeschränkt (barrierefrei) genutzt werden können.[2] In der Zeit der Browserkriege wurde parallel der Begriff Webstandards eingeführt, um Webseiten durch alle der damals konkurrierenden Browser darstellen zu können.

Ein Webserver kann nicht wissen, an wen oder für welches Ausgabegerät er Daten liefert. Nutzer unserer Webseiten verwenden nicht nur Desktop-PCs mit „normalen“ Monitoren, sondern mit einer Vielzahl möglicher Ausgabegeräte mit unterschiedlich großen Bildschirmen vom Handy bis zum wandfüllenden Großbildschirm. Blinde, aber auch Sehende wie Autofahrer oder gerade beim Kochen Beschäftigte lassen sich Webseiten vorlesen.

Dauerhafte, vorübergehende und situationsbedingte Behinderungen

Barrierefreiheit betrifft nicht nur dauerhafte Behinderungen.

Fühlen / Berühren

  • Eine Person mit einem Arm hat eine dauerhafte Behinderung
  • Eine Person mit einem gebrochenen Arm hat eine vorübergehende Behinderung
  • Ein frischgebackenes Elternteil, das sein Baby auf einem Arm hält, hat eine situationsbedingte Behinderung

Sehen

  • Eine blinde Person hat eine dauerhafte Behinderung
  • Ein Grauer Star kann vorübergehend sein
  • Ein abgelenkter Fahrer hat eine situative Behinderung

Hören

  • Eine taube Person hat eine dauerhafte Behinderung
  • Eine Ohrenentzündung ist vorübergehend
  • Ein Barkeeper hat eine situationsbedingte Behinderung

Sprechen

  • Eine nonverbale Person hat eine dauerhafte Behinderung
  • Eine Person mit Laryngitis hat eine vorübergehende Behinderung
  • Eine Person mit einem starken Akzent hat eine situative Behinderung
Beachte: Denk immer daran, dass du nicht der Nutzer bist. Als Designer und Entwickler denken wir oft, dass das, was für uns brauchbar, zugänglich und verständlich ist, auch für andere gut genug ist.

Fazit

Barrierefreiheit ist nicht einfach eine alternative Ausgabe auf Screenreadern für Nichtsehende. Fast jeder Teilnehmer am Web ist in irgendeiner Weise benachteiligt So verschlechtern sich die Augen im Alter, dass kleinere Schrift und schlechte Kontraste nicht mehr lesbar wird. Auch die Farbwahrnehmung unterscheidet sich. Schätzungen besagen, dass bei 8 bis 10% der Männer eine Rot-Grün-Schwäche bis hin zur Rot-Grün-Blindheit vorliegt.

Hauptartikel: Farbe/Farben und Kontraste

Andere Menschen wiederum können mit der Maus nicht gut umgehen und bevorzugen die Tastatur oder verwenden sprachgesteuerte Hilfsmittel. Nicht jeder Datenempfänger ist zudem ein Mensch. Index-Robots zum Beispiel haben ihre eigenen Beschränkungen.

Die Fähigkeiten eines Datenempfängers sind für einen Webautor schwer vorhersehbar. Möchte er seine Inhalte einem möglichst breiten Publikum verfügbar halten, sollte er deshalb bestimmte Richtlinien einhalten und Erfahrungen im Umgang mit dieser Problematik umsetzen.

Zugänglichkeit bedeutet, dass die Bedienung einer Webseite nicht an besondere technische Voraussetzungen oder menschliche Fähigkeiten gekoppelt ist. Ein behinderter Mensch sollte die Inhalte vollständig wahrnehmen und alle Bedienelemente betätigen können. Auch hierzu gibt es Maßnahmen und Regeln (z. B. WCAG und BITV).

  • Werden Informationen über grafische Inhalte vermittelt, dann benötigen diese ein Textäquivalent in Form eines Alternativtexts oder einer Bildunterschrift. Komplexe Grafiken sind in einem erläuternden Text zu erklären. Dies gilt nicht nur für Bilder, sondern auch für Videoclips und Filme.
  • Information soll nicht durch ein einziges Merkmal (z. B. Farbe oder Warnton) ausgedrückt werden.
  • Ausreichende Kontrastverhältnisse der verwendeten Farben gewährleisten die Leserlichkeit von Texten.
  • Eine Website muss auch mit Tastatur vollständig bedient werden können.
  • Die Interpretation einer Seite muss auch ohne CSS möglich sein.
  • Vermeide horizontale Scrollbars, denn einige Geräte (Mobiles) können nicht horizontal scrollen

Viele Anwender verwenden assistive Technologien, wie zum Beispiel Braille-Zeilen, die Bildschirmlupe oder Screenreader. Solche Hilfsmittel stehen in der Regel außerhalb der technischen Erfahrung eines Webautors. Es ist jedoch schon viel gewonnen, wenn ein Autor einige allgemeinen Regeln befolgt und zum Beispiel die semantischen Regeln von HTML umsetzt und den Code validiert, sodass diese Hilfsmittel eine Chance haben, den Code geeignet zu interpretieren.

Eine weitere Methode ist, sich in Menschen mit bestimmten Behinderungen hineinzudenken. Der Inhalt eines Audiodokumentes kann ohne Transkription von Hörgeschädigten nicht wahrgenommen werden – aber auch nicht von Menschen in lauten Werkhallen oder einem Ausgabegerät ohne Lautsprecher.

Menschen sind also nicht zwingend ständig in ihren Fähigkeiten eingeschränkt. Auch wechselnde Lichtverhältnisse in einem Bus, der an einem sonnigen Tag durch eine Allee fährt, machen es schwer auf dem wackelnden Smartphone winzige und blasse Texte zu lesen. Insbesondere wenn im Bus noch geredet wird und man aufpassen muss, seine Haltestelle nicht zu verpassen.

Hier spricht man von sogenannten situativen Einschränkungen. Weitere Beispiele dafür sind Fausthandschuhe, Ohrstöpsel, eine verlegte Brille, ein Gipsverband oder starke Übermüdung. All das behindert uns in unserer Wahrnehmung, unserem Bewegungsvermögen oder unserer geistigen Leistungsfähigkeit.

Entsprechend lassen sich Behinderungen in sensorische, motorische und kognitive Einschränkungen untergliedern. Zu den sensorischen Einschränkungen gehören Schwerhörigkeit und Taubheit, Fehlsichtigkeit und Blindheit, aber auch eine Einschränkung des Tastsinns, ohne den z. B. ein Force-Feedback durch den Vibrationsalarm des Smartphones oder Spielecontrollers nicht wahrnehmbar ist.

An diesen wenigen Beispielen wird deutlich, dass jeder Mensch von zugänglichen Webseiten profitiert.

Gesetzliche Grundlagen

European Accessibility Act, EN 301 549, EU Richtlinie 2016/2102 - die Namen der gesetzlichen Vorgaben sind nicht gerade Beispiele für Leichte Sprache und das war nur die Spitze des Eisberges. Barrierefreiheit wird in vielen weiteren rechtlich relevanten Texten erwähnt: von der Menschenrechts-Konvention der UN, über die WCAG, das Grundgesetz bis zum Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG).

Aber es sind auch arbeitsrechtliche Vorgaben zu beachten und natürlich haben Bund, Länder und Kommunen ihre speziellen Vorstellungen von der Umsetzung.

Etwas Licht in die rechtlichen Grundlagen und andere Basis-Informationen bringt ein PDF der BFIT Bund und bietet Interessierten zahlreiche Links zur vertiefenden Lektüre.[3]

Langweilig? - Vielleicht. Aber wenn gutes Zureden nicht mehr weiterhilft, muss man halt manchmal mit der Gesetzeskeule winken. Argumente dieser Art gibt es hier und Barrierefreiheit hat auch etwas mit dem Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung zu tun. Gut, dass es darauf einen Anspruch gibt. So sind Menschen mit Behinderungen nicht länger Bittsteller.

In einigen Ländern sind Webdienste von Behörden gesetzlich dazu verpflichtet, bestimmte Standards zu erfüllen.

Deutschland

In Deutschland ist dies für den Bund etwa in der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BITV 2.0) geregelt. Häufig kritisiert werden Abweichungen von den WCAG 2.0.

Zum Bund gehören zahlreiche Institutionen und Organisationen, zum Beispiel die bundesunmittelbaren Körperschaften öffentlichen Rechts.

Zu den bekannteren gehören unter anderem:

  • die Deutsche Rentenversicherung Bund (früher BfA),
  • die meisten gesetzlichen Krankenkassen,
  • die Arbeitsagentur und
  • die Berufsgenossenschaften.

Erläuterungen zum Geltungsbereich der BITV 2.0 findest du in der Begründung zur BITV 2.0 (PDF)

Die Länder haben größtenteils eigene Verordnungen erlassen.

Schweiz

In der Schweiz gelten die in den P028 - Richtlinien des Bundes für die Gestaltung von barrierefreien Internetangeboten dargelegten Normen nach WCAG 2.0 AA für behördliche Websites (Bund, Kantone und Gemeinden).

EU

Ab Anfang 2010 hat sich die EU verpflichtet, alle EUROPA-Websites WCAG-konform zu erstellen (Selbstverpflichtung).

Die Europäische Kommission kommt in einer Studie von 2015 aber zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung der WCAG-Standards in den Mitgliedsländern "fragmentiert und langsam" voran kommt (Web Accessibility). Es gibt daher einen Vorschlag für eine Anordnung im Vorgang und als Ergänzung zum geplanten European Accessibility Act (PDF)

Aber auch nicht behördliche Websites sind gut beraten, die Empfehlungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) umzusetzen, für die es auch eine offizielle deutsche Übersetzung gibt.

Richtlinie 2016/2102 und Europäische Norm EN 301 549

Die EU hat mit der Richtlinie 2016/2102 die Bestimmungen vereinheitlicht, die einige der Mitgliedsländer bereits zum Thema Barrierefreiheit erlassen haben.

Damit wurden die Spielregeln für öffentliche Stellen vereinheitlicht. Das ist insbesondere für Dienstleister ein großer Vorteil. So können Firmen aus ganz Europa für jedes Land in der EU Webseiten bereit stellen, die den Regeln der EU entsprechen.

Zumindest in der Theorie. In der Praxis handelt es sich dabei um Mindestanforderungen. Einige Mitgliedsländer gehen über diese Mindestanforderungen hinaus. Dennoch: die Basis bleibt gleich und für jeden, der sich professionell mit Barrierefreiheit beschäftigt, sind die gesetzlichen Grundlagen wichtig.

Zu der Richtlinie gehört noch eine Norm, die die Bedingungen beschreibt, die barrierefreie IKT-Produkte erfüllen müssen, also zum Beispiel Webseiten, Apps aber auch Standardsoftware und sogar Hardware.

In einem (von mehreren) Durchführungsbeschluss wird noch festgelegt, was in der geforderten Erklärung zur Barrierefreiheit zu stehen hat.

Durchführungsbeschluss (EU) 2018/1523 der Kommission vom 11. Oktober 2018 zur Festlegung einer Mustererklärung zur Barrierefreiheit

Richtlinie 2016/2102 in deutscher Sprache

Europäische Norm 301 549 in der aktuell gültigen Version V3.2.1 (2021-03)


Überwachungsstellen des Bundes und der Länder

Die EU schreibt vor, dass die Barrierefreiheit periodisch überwacht wird und verlangt Berichte über die Ergebnisse der Überwachung. Dafür sind in Deutschland Überwachungsstellen des Bundes und der Länder eingerichtet worden.

Auch dort findet man viele interessante Informationen zur Barrierefreiheit, zu den Aufgaben, zur Überwachung selber und den rechtlichen Grundlagen.

Manche bieten auch Services auf ihren Webseiten an - so kann man die Überwachung in Bayern als Betroffener online beantragen.

Neben den Überwachungsstellen gibt es auch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit, die bei der Knappschaft Bahn angesiedelt ist. Diese stellt besonders viele Informationen gebündelt bereit.

Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik

Überwachungsstellen der Länder

Bundesfachstelle Barrierefreiheit


Quellen

  1. Wikipedia.de: Barrierefreiheit
  2. Wikipedia.de: Barrierefreies Internet
  3. Informationen zur Umsetzung von barrierefreier Informationstechnik im Sinne von § 3 Absatz 5 BITV 2.0 (BFIT Bund]